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Dr. Know-How weiß wie's geht

 
Thomas Volkwein
 

Malerei, Zeichnung und Sonstnochwas

 

Alles ist offen sichtbar.

( Jochen Buchholz, Katalog zur Ausstellung Nachts, wenn die Kinder schlafen, Galerie im Oberlichtsaal, Sindelfingen, 2008) 

 

Die Aufrichtung vor dem Bild durch das Bild:  

Je tiefer die Sinne der Betrachter in ein Kunstwerk hineingreifen, desto reichhaltiger muss auch der Lohn sein. Dass das Verlangen nach sinnlicher Befriedigung kein blasses Ideal bleibt, sondern mit prallem Erleben belohnt wird, verdankt sich der Malerei Thomas Volkweins. Von Grund auf so durchgearbeitete Malerei ist nicht überall anzutreffen. Dieser Umstand wird erst vor einem gemalten Bild deutlich, das diesbezüglich Mängel aufweist. Umso mehr ist die hier in Abbildungen versammelte Kunst zu begrüßen, unter anderem auch, weil darin alle wünschenswerten Komponenten in diesem Sinn

zusammentreffen. Abgesehen von der ureigenen Erscheinungsweise dieser Malerei, deren sinnliche Erfüllung Thomas Volkweins Werk bedeutet, treibt sie das Sehen an die Grenze analytischer Reflexion, wo sie befragt werden möchte und sich der Analyse doch versagt. Da sein Werk dessen ungeachtet einem lustbetonten Sehen und einem verlangenden Betrachten Richtung und Ziel gibt, lässt es auch die Abwesenheit dieser gerichteten Sinnlichkeit anderswo deutlich hervortreten – aber es kann eine Wiedergutmachung leisten. Vermöge einer satten Erscheinungsweise als Werk auf einem breiten malerischen Sockel weist es über sich hinaus, indem es insgesamt die Möglichkeit belegt, dass Konsequenz entweder nicht ins Leere läuft, oder dass Konsequenz einen Sinn erhält. Sein Werk tröstet und hilft über anderswo auftretende Mängel hinweg. 

Der Maler Thomas Volkwein schöpft in seinen Bildern aus einem Fundus, der randvoll mit handwerklichem Können und der neuen Sprache der Zeit angefüllt ist. Sein Werk weist die sehr seltene Kombination aus unglaublich sicherer, gewandter Zeichnung und bis an die Grenzen dieser Gewandtheit reichenden Malerei auf. Gerade in den großformatigen Bildern, die in ihrem Duktus die von der Zeichnung empfangenen Prägungen zulassen und so die Gratwanderung zwischen der Wildheit des breiten Pinselauftrags und der Disziplin des eleganten Strichs meistern, erfüllen wesentlich den absolut malerischen Anspruch, den sie durch ihr Format, durch ihre Inhalte und durch die Komposition an sich selbst richten. 

 

Das Zugleich des Nacheinanders: 

Sowohl Bilder als auch Zeichnungen sind spannende Erzählungen. Indessen erzählen sie nicht zuerst ihre Inhalte sondern die Fassung ihrer Inhalte in die Form eines Ausdrucks. Das geschieht nicht linear. Der „wesentlich absolut malerische Anspruch“ setzt literarische Dramatik außer Kraft und fasst sie in ein anderes Medium der bildhaften Zeitlosigkeit, bei dem das Erleben der Inhalte dieser Malerei aus der Versenkung in die Fläche hervorgeht, die ihre Komponenten dem Auge zugleich darbietet. Es gelingt nicht, die Wirkung eines der Elemente der Bilder isoliert, einzeln oder nacheinander zu betrachten. Alle Einzelheiten sind als Einzelheiten nicht fassbar und werden belebt und bewegt durch den breiten Eindruck der Gesamtheit, die den synoptischen Erzählungen der Altarbilder der Gotik gleicht. Was in Volkweins Bildern identifizierbar ist, Tiere, Gegenstände, Figuren bleibt eben nicht allein bei der dramatisch-berichtenden Aufzählung. Die einzelnen Elemente, soweit sie überhaupt benennbar sind, treten bei ihrer sprachlichen Erwähnung und Benennung weit hinter der zweiten Möglichkeit, die diese Bilder bieten, zurück. Es ist besser, sie in ihrer emotionalen Eindringlichkeit wirken zu lassen, um ihre wahre Geschichte zu hören, weitaus besser, als sie zu deuten. 

Es wird also keine Handlung erzählt. Die eigentliche Geschichte ist jedes Mal die Geschichte, wie Inhalte, sobald sie eine Form als Figur oder Bildgegenstand gefunden haben, miteinander Korrespondieren. Dieser nur im Bild zu führende Dialog der Einzelmotive wird zu einem einzigartigen Ereignis und kann nicht durch etwas Anderes, durch einen Film, einen Roman etwa, ersetzt werden. Es wäre töricht, den bildhaften Dialog in Sprache nacherzählen, die Bilder etwa interpretieren zu wollen, wenngleich der Reiz, dies zu tun, groß ist. Aber die visuelle Präsenz, ja die Pracht, in der allein schon eine Zeichnung erscheint, übertrifft an sinnlicher Kraft alle an sie gerichteten Auslegungsvarianten.

 

Die neue Sprache der Zeit: 

Alle kulturellen Ereignisse (bewegte oder stehende Bilder, gesprochene oder geschriebene Sprache, human geformte oder technisch geprägte Ästhetik) wirken aufeinander ein. Je näher sie beieinanderliegen, desto stärker die Wirkung. Im Fall eines kulturellen Ereignisses mit bestimmten Attributen (digital oder analog, privat oder öffentlich, historisch oder vermutet, notwenig oder herbeigeredet), ist die Instanz ihrer Aufzeichnungsmedien (sowohl Nervenzelle als auch Chipsatz) hybrid gekreuzt. Spätestens nach dem Durchblättern dieses Katalogs wird begreiflich, dass alle Ereignisse, die durch die Aufzeichnungsmedien registriert werden, auch Ereignisse der Kunst sein können.

Ganz gleich ob als Schrift, als Bild oder als akustische Form - die kulturellen Ereignisse werden nur halb wahrgenommen und sie schlüpfen aus dem Kreis unserer Wahrnehmung, sobald der Griff des analytischen Denkens nach ihnen erfolgt. Sie bleiben dann weder bewusster Gegenstand der Erinnerung noch werden auch sie restlos vergessen. Die Fluktuation solcher Ereignisse ist ungeheuer groß und sieht chaotisch aus. Doch trotz dieser scheinbar ungeordneten Bewegung bilden sich manchmal Gestalten aus ihnen hervor, die unter günstigen Umständen direkter wahrgenommen werden, manchmal sozusagen aus den Augenwinkeln sogar besser. 

Weil die modernen Mythen keinen Ursprungsort mehr haben, sondern sich wandelnd um den Globus kreisen, erhalten sie, wenn ihre flüchtigen Gestalten in Thomas Volkweins Kunst eingefangen werden, konkrete Formen. Die Aura kommensurabler Anschaulichkeit, das heißt, mehr oder weniger den Ausdruck allgemeinerer, typushafter, nicht individueller Formen bewahrt ihnen auf ganz eigene Weise dieses Werk. Insofern sind diese Arbeiten alles andere als verschlüsselt. Sie sind transparent für den täglichen Durchlauf der Bilder dieser Gestalten durch unsere Wahrnehmung. Damit bieten sie natürlich auch den Ansatz zur Reflexion. Andererseits aber gewinnen sie ihnen den altruistischen Aspekt der traumhaften Bewältigung hinzu, der ihnen durch ihre Ortlosigkeit mangelt, so isoliert, so unausweichlich und so unzusammenhängend, wie sie dargeboten werden und auf uns einprasseln. Die unerschöpfliche Bilderflut unserer Gegenwart enthält in der von Thomas Volkwein gemalten Entsprechung – trotz ihrer zum Teil aggressiven Farbigkeit – ihr gegenüber das Angebot einer individuellen Lösungsmöglichkeit. Die kreisenden Ereignisse können nach ihrem exemplarischen Erscheinen in dieser Bildwelt losgelassen werden und sie gleiten fließend in den großen, unendlich weiten Hintergrund des Unbewussten zurück.